Widerhall (Audio)

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Am 24. August feiert die unabhängige Ukraine ihren Geburtstag. An diesem Tag, vor 26 Jahren, hat sich die Ukraine von der Sowjetunion gelöst und wurde zu einem souveränen Staat.

O-Ton: Ausgehend von der tödlichen Gefahr, welcher die Ukraine durch den Staatsstreich in der Sowjetunion am 19. August 1991 ausgesetzt war, in Fortsetzung der tausendjährigen Tradition der Staatsbildung in der Ukraine, ausgehend vom Recht auf Selbstbestimmung, das in der Charta der Vereinten Nationen und in anderen völkerrechtlichen Dokumenten verankert ist, in Verwirklichung der Deklaration über die staatliche Souveränität der Ukraine, verkündet die Werchowna Rada feierlich die Unabhängigkeit der Ukraine und die Gründung des selbständigen ukrainischen Staates – der Ukraine. Das Territorium der Ukraine ist unteilbar und unantastbar. Von nun an gelten auf dem ukrainischen Boden ausschließlich die Verfassung und die Gesetze der Ukraine.

– hieß es in der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine, die genau vor sechsundzwanzig Jahren, am 24. August 1991, vom ukrainischen Parlament, der Werchowna Rada, angenommen wurde. Die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik als Teil der Sowjetunion hörte auf zu existieren, und auf der politischen Weltkarte entstand ein neuer souveräner und demokratischer Staat, der größte in Europa.

Zuvor wurde die Ukraine bereits zweimal unabhängig: im 17. Jahrhundert nach dem Befreiungskrieg der Kosaken gegen Polen und 1917, nach der Februarrevolution im Russischen Reich. Beide Male konnte der ukrainische Staat nicht standhalten und verlor die erkämpfte Souveränität.
Die Unabhängigkeitserklärung von 1991 war dagegen eine Erfolgsgeschichte: Im neuen Staat wurden zum ersten Mal alle ukrainischen Territorien vereinigt. So wollte das Volk: Beim Referendum am 1. Dezember 1991 antworteten über 90 Prozent der Bürger mit „Ja“ auf die Frage, ob sie die Unabhängigkeitserklärung bestätigen.

Der Weg dazu war steinig und dauerte viele Jahrzehnte. Die Geschichte der Ukraine im Laufe des ganzen zwanzigsten Jahrhunderts stand unter dem Zeichen des Unabhängigkeitskampfes. Nach dem bolschewistischen Umsturz im Jahr 1917 in Russland wurde in Kiew die Ukrainische Volksrepublik ausgerufen. Sie umfasste zentrale, östliche und südliche Gebiete der heutigen Ukraine und wurde auf für damalige Zeit sehr fortschrittlichen, demokratischen Prinzipien gegründet. Im Januar 1919 hatte sich die Ukrainische Volksrepublik mit der Westukrainischen Volksrepublik vereinigt, die auf dem Gebiet Ostgaliziens, der Nord-Bukowina und Transkarpatiens existierte. Doch die bolschewistische Regierung in Moskau wollte die Unabhängigkeit der Ukraine nicht dulden, insbesondere weil Russland von ukrainischer Nahrungs- und Rohstoffproduktion abhängig war.



Im Krieg gegen die Bolschewiken waren die Kräfte ungleich: Die demokratische Ukraine hatte eine Niederlage erlitten. 1920 hörte die Ukrainische Volksrepublik endgültig auf, zu existieren. Die westukrainischen Gebiete wurden an Polen abgegeben. In der Zentral- und Ostukraine setzte sich die sowjetische Herrschaft durch. Und 1922 wurde die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik offiziell Teil der neu gegründeten Sowjetunion. Ende 20er - Anfang 30er Jahre wurden

die Bauern, denen man Land versprochen hatte, in die Kolchosen getrieben. Diejenigen, die sich weigerten, mussten mit Verhaftungen, Enteignungen, Exekutionen und Massendeportationen rechnen. Und die darauf folgende Hungersnot in den Jahren 1932 und 1933, die von der stalinistischen Führung vorsätzlich verursacht wurde, forderte Millionen Todesopfer unter ukrainischen Bauern.



Auch ukrainische intellektuelle Eliten, selbst diejenigen von ihnen, die Kommunisten waren, wurden gnadenlos und willkürlich verfolgt. Ein Großteil von ihnen wurde hingerichtet oder endete in stalinistischen Arbeitslagern. Anstatt der versprochenen nationalen und kulturellen Freiheit betrieb die Sowjetführung die Politik der Russifizierung aller Lebensbereiche.

Doch die Verfolgung konnte das Streben der Ukrainer nach Freiheit nicht brechen. Im Zweiten Weltkrieg, aber auch viele Jahre danach, bis in die 60er Jahre, kämpfte die ukrainische Aufstandsarmee für die Unabhängigkeit der Ukraine. Das Motto dieser Partisanenbewegung, die vor allem in der Westukraine aktiv war, lautete: „Freiheit für Völker, Freiheit für Menschen“.

Ab den 50er Jahren war es Intellektuelle, die sich für nationale und kulturelle Freiheit und Demokratie einsetzten. Ihr Kampf war gewaltlos, doch wer Kritik an dem sowjetischen Totalitarismus wagte, lebte in der Sowjetunion gefährlich. Zahlreiche ukrainische Dissidenten waren in Gefängnissen und auch in psychiatrischen Anstalten inhaftiert. Ende der 80er Jahre wurde dann das sowjetische System durch die Perestroika, den von Michail Gorbatschow begonnenen Reformprozess gelockert. Im Zuge der Demokratisierungsprozesse der Perestroika hat die Ukraine am 16. Juli eine Deklaration über ihre staatliche Souveränität verabschiedet. Bei der Souveränität handelte es sich nicht um eine richtige Unabhängigkeit, doch es wurde offensichtlich, dass die Sowjetunion kurz vor dem Zerfall stand. Am 19. August setzte das sogenannte Staatskomitee für den Ausnahmezustand, eine Gruppe Funktionäre der Kommunistischen Partei der Sowjetunion mit reaktionären Ansichten, den Staatspräsidenten Michail Gorbatschow ab und versuchte, das Land unter seine Kontrolle zu bringen. Die kommunistische Führung in Kiew blieb zunächst untätig – sie wollte die gefährliche Situation aussitzen. Der Putschversuch in Moskau scheiterte jedoch nach nur drei Tagen. Das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, hat sich am 24. August zu einer historischen Sitzung versammelt. Die Menschen, die draußen auf den Straßen von Kiew demonstrierten, gaben den Abgeordneten ausdrücklich zu verstehen, was sie wollten. Sie skandierten – „Unabhängigkeit“.



Die Forderung des Volkes und der Opposition fanden nun auch bei den kommunistischen Abgeordneten Gehör. Der Oberste Rat der Ukrainischen Sowjetischen Sozialistischen Republik stimmte mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeitserklärung.

Nun ist die unabhängige Ukraine 26 Jahre alt. Aus der Sicht der Geschichte ist das ein sehr kleiner Zeitabschnitt und die Ukraine ist einer der jüngsten Staaten auf der politischen Weltkarte. Doch in dieser kurzen Zeit mussten die Bürger in der Ukraine wie kaum in einem anderen Land im postsowjetischen Raum beweisen, dass sie zur Demokratie fähig sind und dass Freiheit und Würde für sie keine bloßen Worte sind. Zunächst bei der Orangenen Revolution im Jahr 2004, und dann – zehn Jahre später – beim Euromaidan und anschließend bei der Verteidigung ihrer Heimat angesichts der russischen Aggression im Osten des Landes und der Annexion der Halbinsel Krim durch Russland.

Was hat der unabhängige ukrainische Staat innerhalb dieser Jahre, insbesondere der letzten 3-4 Jahre, erreicht? Der ukrainische Politikwissenschaftler Wolodymyr Fessenko meint, das Wichtigste, was dem Land gelungen sei, seine Unabhängigkeit zu bewahren.  

O-Ton: Die größte Errungenschaft der Ukraine in diesen Jahren ist, dass sie überhaupt überlebt hat. Ungeachtet großer Herausforderungen, riesiger inneren und äußeren Probleme, ist es ihr gelungen, zu überleben sowie die Staatlichkeit und Unabhängigkeit zu bewahren. Wenn sie auch dafür mit dem Teil ihres Territoriums bezahlen musste.

Viel getan habe die Ukraine, so Politologe, auch in der Außenpolitik. Im Jahr 2014 habe das Land, so Fessenko, ihre Zivilisationswahl zugunsten der europäischen Entwicklung getroffen.

O-Ton: Was die internationale Politik betrifft, so zeugen die Ereignisse der letzten Jahre davon, dass die Ukraine wesentliche Fortschritte auf dem Weg zur europäischen Integration gemacht hat. Und zwar die Ratifizierung des Assoziierungsabkommens mit der EU und visumfreie Einreise in die EU-Länder ab Juni dieses Jahres.

Alle 26 Jahre sei die Ukraine auf der Suche nach Selbstidentität, Nationalidee und richtigen Orientierungspunkten in der Welt gewesen, sagt der erste Präsident der unabhängigen Ukraine Leonid Krawtschuk. Und dies sei immer kompliziert gewesen. Jetzt stehe das Land, so Krawtschuk, wieder vor neuen Herausforderungen und müsse alles von Anfang an beginnen:
O-Ton: Vor uns liegen solche Aufgaben: Beendigung des Kriegs, Armutsbekämpfung, Ausbau eines Staates, wo Reformen stattfinden und Korruption bekämpft wird.
Der Preis, den die Ukraine dafür bezahlen muss, ist hoch. Doch die Selbstaufopferung der Verteidiger der Ukraine, die Solidarität der Gesellschaft lässt keine Zweifel daran.

Die jüngste Statistik besagt: Fast zwei Drittel der Ukrainer – 73 Prozent – sehen mit Hoffnung und Optimismus in die Zukunft. Sollte das Referendum über die Unabhängigkeit des Landes im August 2017 stattfinden, so würde die überwiegende Mehrheit der Ukrainer - mehr als 76 % - dafür stimmen.

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